Im Namen der Völker by Benjamin Dürr

Im Namen der Völker by Benjamin Dürr

Autor:Benjamin Dürr [Dürr, Benjamin]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783896845146
veröffentlicht: 2016-09-22T22:00:00+00:00


Verbrecherjagd

Eine Weltpolizei gibt es nicht. Der Internationale Strafgerichtshof kann zwar Haftbefehle ausstellen und andere Anordnungen erteilen – er kann sie jedoch nicht vollstrecken.

Das Fehlen einer Exekutive, einer ausführenden Gewalt, ist wohl einer der größten Geburtsfehler des Strafgerichtshofs. Und nirgendwo wird diese Schwäche so deutlich wie bei Verhaftungen und Auslieferungen.

Wenn die Ermittlungen ihrem Ende entgegengehen, beantragt die Anklagebehörde bei den Richtern in Den Haag einen Haftbefehl. Die Informationen werden an die internationale Polizeiorganisation Interpol weitergeleitet, die dann eine sogenannte Rote Ausschreibung ausstellt. Damit werden die Behörden in 190 Staaten informiert, dass gegen bestimmte Personen ein Haftbefehl vorliegt. Dann ist es an den einzelnen Ländern, Verdächtige, die sich auf ihrem Staatsgebiet aufhalten, festzunehmen.

Manche Haftbefehle werden veröffentlicht. In anderen Fällen bleiben sie unter Verschluss, und nur wenige Eingeweihte wissen um die gesuchte Person. Der Haftbefehl gegen Lubanga zum Beispiel wurde geheim gehalten, bis der Rebellenführer verhaftet war. Geheime Haftbefehle sind die am strengsten gehüteten Geheimnisse in Den Haag, denn sie sind ein starkes Mittel: Wer in einen Krieg verstrickt ist, weiß nicht, dass er vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird und ihm beim nächsten Grenzübertritt die Verhaftung droht. Die Verdächtigen sollen sich in Sicherheit wähnen – bis die Falle unerwartet zuschnappt. Manchmal ist es auch nötig, kein Aufsehen zu erregen, um beispielsweise Zeugen nicht in Gefahr zu bringen. Wie viele Haftbefehle derzeit unter Verschluss vorliegen und gegen welche Personen, wissen nur wenige.

Die Mitgliedsstaaten des Gerichts verpflichten sich beim Beitritt, die Anordnungen umzusetzen und Haftbefehle zu vollstrecken. Bisher waren die Staaten jedoch wenig kooperativ. Sie weigern sich meist aus politischen Gründen, Personen festzunehmen, oder verweigern sich der Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof aus grundsätzlichen Gründen.

Der Strafgerichtshof in Den Haag ist in einem solchen Fall machtlos. Verweigert eine Regierung die Verhaftung oder die Auslieferung, kann das Gericht nicht mehr tun, als sie dennoch dazu aufzufordern, zu mahnen oder eine Beschwerde an die Konferenz der Vertragsstaaten zu schicken. Diese könnte Sanktionen gegen das Mitgliedsland verhängen – geschehen ist das allerdings noch nicht.

Manche plädieren angesichts der Machtlosigkeit dafür, eine internationale Eingreiftruppe zu schaffen – eine Art ICC-Polizei. Theoretisch wäre es ein Leichtes, eine Einheit aus Elitesoldaten zusammenzustellen, die zum Beispiel im Norden Ugandas den berüchtigten Rebellenführer Joseph Kony aufspüren und zum Gericht bringen könnte. Oder im Extremfall Sudans Präsident Omar al-Baschir seiner Villa entreißen und in ein Flugzeug nach Den Haag setzen könnte.

Die Souveränität von Staaten wurde zwar seit den Nürnberger Prozessen eingeschränkt, der Einsatz einer internationalen »Weltpolizei« aber, die mit – oder gar ohne – Zustimmung in Ländern eingreift, geht den Regierungen doch zu weit.

Dem Strafgerichtshof bleibt nichts anderes übrig, als seine Machtlosigkeit zu akzeptieren. Verfahren »in absentia«, in Abwesenheit, sind ausgeschlossen. Ein Angeklagter soll das Recht haben, sich persönlich vor Gericht verteidigen zu können. Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel, wenn ein Angeklagter den Ablauf stört und aus dem Gerichtssaal geschickt wird, findet das Verfahren ohne ihn statt.

Der Vater des Völkerstrafrechts, der italienische Jurist Antonio Cassese, nannte das internationale Strafrecht treffend einen »Riesen ohne Arme und Beine«.122 Das System braucht künstliche Glieder, um laufen zu können. Diese Laufhilfe wird ihm durch die Staaten verliehen – oder eben nicht.



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